KI in der Diagnostik: Überblick & aktueller Stand

KI in der Diagnostik: Überblick & aktueller Stand

Lebensrettende Präzision – ein Praxisbeispiel

In der Notaufnahme eines deutschen Krankenhauses wird eine Patientin mit unspezifischen Brustschmerzen vorstellig. Die behandelnden Ärzte entscheiden sich für eine Computertomographie (CT) des Thorax. Während die Bilder noch erstellt werden, analysiert ein KI-System parallel die Aufnahmen und identifiziert innerhalb von Sekunden eine lebensbedrohliche Lungenembolie, die dem menschlichen Auge möglicherweise entgangen wäre. Dank dieser frühzeitigen Erkennung kann umgehend eine gezielte Therapie eingeleitet werden, die der Patientin das Leben rettet.

 

Dieses Szenario ist kein Zukunftsbild mehr; KI-gestützte Diagnostiksysteme wie Aidoc werden bereits erfolgreich in der klinischen Praxis eingesetzt und haben gezeigt, dass sie die Befundungszeit signifikant verkürzen und die Patientensicherheit erhöhen können. ​

 

Datenbasierter Beleg: Deutliche Effizienzsteigerung

Eine Studie mit Onkologie-Patient:innen zeigte eindrucksvoll, was KI in der klinischen Realität leisten kann. Radiolog:innen wurden durch das Aidoc-System bei der Auswertung von Thorax-CTs unterstützt. Das Ergebnis:

  • Die Rate übersehener Lungenembolien sank von 45 % auf nur noch 2,6 %.
  • Die Meldezeit einer inzidentellen Lungenembolie wurde von durchschnittlich 129 Stunden auf 1,5 Stunden reduziert.
    Ein Unterschied, der im Ernstfall über Leben und Tod entscheiden kann.

 

(Quelle: https://www.alcimed.com/de/insights/ki-bildgebung/)

 

 

Künstliche Intelligenz in der medizinischen Diagnostik – ein Überblick

Diese eindrucksvolle Fallstudie zeigt: Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz hat das Potenzial, klinische Abläufe spürbar zu verbessern und Diagnosesicherheit deutlich zu erhöhen. Doch wie weit ist die Technologie tatsächlich? Welche Tools kommen heute schon zum Einsatz – und in welchen Fachgebieten?

 

Als Rheumazentrum Mittelhessen beobachten wir die Entwicklungen rund um KI-gestützte Diagnostik mit großem Interesse. Dabei schauen wir bewusst über den Tellerrand der Rheumatologie hinaus, denn viele Innovationen entstehen in interdisziplinären Kontexten – von der Radiologie über die Onkologie bis zur prädiktiven Inneren Medizin. Im Folgenden geben wir Ihnen einen fundierten Überblick über aktuelle KI-Anwendungen in der Diagnostik – mit konkreten Beispielen, klinischem Bezug und einem kritischen Blick auf Herausforderungen und Chancen.

 

 

Bildgebende Verfahren: Mehr Präzision durch KI

 

Radiologie: Echtzeit-Analyse rettet Zeit und Leben

KI-Systeme wie Aidoc und Viz.ai analysieren CT- und MRT-Aufnahmen in Echtzeit und markieren kritische Befunde wie Hirnblutungen oder Lungenembolien. Die Analyse erfolgt parallel zur Bilderstellung – automatisiert, schnell und zuverlässig. Wie bereits eingangs geschildert, konnte Aidoc die Detektionsrate von Lungenembolien in Studien signifikant verbessern und die Diagnosezeit drastisch verkürzen – mit direktem Einfluss auf die Versorgung von Notfallpatient:innen.

 

Pathologie: Automatisierte Gewebeanalysen mit Deep Learning

PathAI analysiert histologische Präparate mit hoher Genauigkeit. Deep-Learning-Algorithmen identifizieren selbst kleinste zelluläre Veränderungen und unterstützen Patholog:innen bei der Krebsdiagnostik. Studien belegen eine Präzision, die in bestimmten Bereichen der menschlichen Befundung überlegen ist.

 

Hämatologie: CellaVision erkennt Zellveränderungen automatisiert

Das KI-System CellaVision wird zur Analyse peripherer Blutausstriche eingesetzt. Es erkennt und klassifiziert morphologische Anomalien bei Blutzellen – etwa zur Differenzialdiagnose hämatologischer Erkrankungen – schnell und standardisiert.

 

Rheumatologie: Früherkennung durch RheumaDetect

RheumaDetect analysiert bildgebende Daten (z. B. Röntgenaufnahmen von Händen und Füßen) auf subtile Gelenkveränderungen bei rheumatoider Arthritis. Diese können zu einem Zeitpunkt erkannt werden, an dem sie für das menschliche Auge noch kaum sichtbar sind – und ermöglichen so frühzeitig eine gezielte Therapie.

 

 

Labordiagnostik: Mustererkennung auf neuem Niveau

 

Blutzelldiagnostik: Schnell, strukturiert, zuverlässig

CellaVision wird auch in der automatisierten Blutbildanalyse eingesetzt, um morphologische Auffälligkeiten effizient zu erkennen und zu klassifizieren – eine wichtige Hilfe bei Leukämien und anderen hämatologischen Erkrankungen.

 

Molekulardiagnostik: Genetische Information gezielt genutzt

IBM Watson for Genomics analysiert genetische Sequenzdaten und verknüpft sie mit aktueller Forschungsliteratur, um präzisere Aussagen über Krankheitsrisiken und potenzielle Therapien zu treffen – insbesondere in der Onkologie.

 

 

Entscheidungsunterstützung: Vernetztes Wissen in Echtzeit

 

Onkologie: Therapieempfehlungen auf wissenschaftlicher Basis

IBM Watson for Oncology verarbeitet strukturierte und unstrukturierte Daten, um evidenzbasierte Therapievorschläge zu generieren. Dabei werden Patientenakten, Guidelines und aktuelle Studien zusammengeführt.

 

Autoimmunerkrankungen: Frühzeitige Risikostratifizierung

RADR (Rheumatic and Autoimmune Disease Risk) kombiniert Biomarker, klinische Parameter und Patientenhistorie zur KI-gestützten Risikobewertung. Diese Systeme erlauben eine differenziertere Einschätzung des Erkrankungsverlaufs.

 

Rheumatologie: Prognosemodelle mit klinischer Relevanz

CAPRA nutzt prädiktive Modelle zur Verlaufsvorhersage bei rheumatoider Arthritis – auf Basis klinischer Daten, Laborwerten und Bildgebung.

 

 

Prädiktive Modelle: Vorausschauende Medizin mit Potenzial

 

Nephrologie: Akute Komplikationen frühzeitig erkennen

DeepMind’s Streams analysiert kontinuierlich Vitalparameter und Laborwerte zur Früherkennung akuter Nierenschäden – ein Beispiel für den erfolgreichen Einsatz prädiktiver KI-Modelle in der Inneren Medizin.

 

Rheumatologie: Schubprognose bei RA

PREDIRA entwickelt Vorhersagemodelle für Krankheitsschübe bei rheumatoider Arthritis. Durch die Analyse longitudinaler Patientendaten können Therapieanpassungen frühzeitig geplant werden.

 

Implementierung in der Praxis: Chancen und Herausforderungen

 

Technische Integration und Datenschutz

Damit KI-Lösungen ihr Potenzial im klinischen Alltag entfalten können, ist eine reibungslose technische Anbindung an bestehende Systeme essenziell – etwa an PACS, RIS oder das Krankenhausinformationssystem (KIS). Nur so lassen sich Arbeitsprozesse wirklich effizient gestalten. Parallel dazu ist die Einhaltung strenger Datenschutzrichtlinien wie der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und der Medical Device Regulation (MDR) unabdingbar. Die Datenverarbeitung muss transparent, nachvollziehbar und rechtssicher erfolgen – insbesondere bei sensiblen Gesundheitsdaten.

 

Medizinische Validierung und Schulung

KI-Systeme dürfen nur dann in der Versorgung eingesetzt werden, wenn ihre diagnostische Qualität durch robuste klinische Studien belegt ist. Prospektive Validierungen, multizentrische Designs und Vergleiche mit ärztlicher Expertise sind dabei entscheidend. Ebenso wichtig ist die kontinuierliche Schulung von Ärzt:innen und medizinischem Fachpersonal: Der kompetente Umgang mit KI-generierten Ergebnissen – inklusive kritischer Einordnung – muss fester Bestandteil des diagnostischen Prozesses werden. Nur so entsteht echtes Vertrauen in die Technologie.

 

Rolle der Ärzt:innen: KI als Assistenz, nicht Ersatz

Trotz aller Fortschritte bleibt klar: Die ärztliche Entscheidungshoheit ist und bleibt zentral. KI kann bei der Erkennung von Mustern, der Priorisierung von Fällen oder der Vorschlagsgenerierung wertvolle Unterstützung leisten – aber sie ersetzt nicht die klinische Erfahrung, Intuition und Verantwortung der behandelnden Ärzt:innen. Eine reflektierte Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine ist der Schlüssel, um die Versorgungsqualität nachhaltig zu steigern.

 

 

Fazit: Diagnostik im Wandel

Die Entwicklungen im Bereich KI-gestützter Diagnostik zeigen eindrucksvoll, dass Technologie und ärztliche Expertise keine Gegensätze sind – im Gegenteil: In der Kombination liegt das Potenzial, Diagnosen präziser, schneller und patientenzentrierter zu stellen. Von der Radiologie bis zur Rheumatologie profitieren zunehmend auch komplexe Fachgebiete von datenbasierter Entscheidungsunterstützung und automatisierter Bild- und Musterauswertung.

 

Zugleich wird deutlich: Der Einsatz von KI erfordert nicht nur technologische Infrastruktur, sondern auch klinische Erfahrung, interdisziplinäre Zusammenarbeit und einen verantwortungsbewussten Umgang mit sensiblen Gesundheitsdaten.

 

Als Rheumazentrum Mittelhessen verfolgen wir diese Entwicklungen mit großem Interesse. Wir prüfen kontinuierlich, welche Technologien in Zukunft einen echten Mehrwert für unsere Patient:innen bieten könnten – sei es zur Frühdiagnostik, zur Verlaufsbeurteilung oder zur individualisierten Therapieplanung.

 

Auch für Sie als zuweisende Fachkolleg:innen kann der Einsatz solcher Systeme perspektivisch neue Möglichkeiten eröffnen – von der strukturierteren Diagnostik bis hin zur engeren Verzahnung interdisziplinärer Entscheidungsprozesse. Wir verstehen uns dabei als verlässlicher Partner, der medizinischen Fortschritt mit Augenmaß begleitet – immer mit dem Ziel, eine exzellente und verantwortungsvolle Patientenversorgung sicherzustellen.